Grund zum Feiern: Zwei bestandene Gesellenprüfungen
29.01.2024
Bei der Flüchtlingsinitiative Sulingen kann gefeiert werden, denn jetzt ist es offiziell: wieder haben zwei unserer Zugewanderten – Younis aus dem Sudan und Arash aus Afghanistan - eine anspruchsvolle Prüfung abgelegt und gehören als Kfz-Mechatroniker bzw. Elektroniker für Energie- und Gebäudetechnik jetzt zu den gesuchten Fachkräften.
Bis dieses Ziel überhaupt erreichbar wurde, mussten sie nicht nur die deutsche Sprache flüssig sprechen und in alltäglichen Situationen verstehen können, sondern ein Berufsschüler soll selbstverständlich auch mit dicken Fachbüchern voller Theorie umgehen können. Welcher normale Handwerksbetrieb kann für seine Auszubildenden denn extra einen Betreuer abstellen, der die Ausbildungsinhalte vermittelt, die im üblichen Arbeitsablauf der eigenen Firma gar nicht vorkommen, am Ende der drei Jahre aber prüfungsrelevant sein werden? Hat der Meister dafür wirklich genug Zeit und Interesse? Die Ausbildungsinhalte umfassen heutzutage Themen, von denen vor Jahren noch keine Rede war. Kann man das offen zugeben?
Aber der ausländische Azubi muss ganz nebenbei auch noch sein privates Leben mit etlichen Behörden- oder Arztterminen oft außerhalb des Wohnortes organisieren – natürlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln!
Nach einem vollen Arbeitstag auf der Baustelle wartet der eigene Haushalt, denn niemand hat für diesen allein stehenden jungen Mann eingekauft, gekocht, geputzt oder gewaschen. Alles klar, es muss gemacht werden, man ist ja schon über 18..! Feierabend? Wie kann man feiern? Man muss doch am nächsten Tag wieder früh aufstehen für die Baustelle, jetzt gerade aber frisch und motiviert genug sein, um sich hinzusetzen und selbständig Theorie zu lernen? Wenn man doch einen Lehrer neben sich hätte!! Gruppenarbeit könnte vielleicht helfen. Gruppenarbeit ist modern und häufig angesagt im Unterricht, doch wie können dabei diejenigen Schüler mithalten, denen die schulischen Grundlagen in Physik komplett fehlen? Keiner mag seine Mitschüler ständig fragen und damit zeigen, dass er keine Ahnung hat! Und die gleichaltrigen Kumpels, die deutschen Gruppenmitglieder, sollten dann womöglich die Defizite pädagogisch auffangen und locker nebenbei alles erklären, wofür im Unterricht keine Zeit übrig gewesen war?? Träumt weiter…!
Und dann in Corona-Zeiten nicht einmal Schule, sondern Home-Office ? Für Azubis mit deutscher Muttersprache und einem mittleren Schulabschluss ist das anfangs schon nicht so leicht, umso größer ist die Herausforderung für Menschen aus einem ganz anderen Kulturkreis und Bildungssystem. Warum scheitern viele Zuwanderer, die wir in Deutschland doch so dringend brauchen, an der Theorie?
Man hat eine Lehrstelle bekommen, sogar im Traumjob, endlich! Und die Arbeit macht Spaß! Alles scheint zunächst möglich. Schule ? – war bisher nie so wichtig. Praktische Arbeit zählte zu Hause doch immer. Und die deutsche Berufsschule wird man durch regelmäßige Teilnahme schon irgendwie überstehen…!?
Viele unserer neuen Mitbürger konnten in ihrer Heimat die Schule nicht oder nicht durchgängig besuchen und verzweifeln hier an einer Theorie-lastigen Sprache und Anforderungen, deren Sinn sie zunächst nicht sehen. Die Angehörigen in der Heimat warten aber sehnsüchtig auf Erfolgsmeldungen! Lohnt es sich da überhaupt, jahrelang mit einem kleinen Azubi-Lohn zufrieden zu sein, während Freunde schon mehr Geld verdienen und vielleicht bald ein eigenes Auto haben werden? Die begonnene Ausbildung frustriert täglich mehr! Man bricht sie kurzerhand ab und nimmt dafür einen besser bezahlten Hilfsarbeiter-Job an. Schade für alle!
Vor diesem Hintergrund ist es umso bemerkenswerter, wenn unsere jungen Zuwanderer Younis und Arash nach sieben Jahren voller Lernen, Arbeit und Konsumverzicht jetzt eine Urkunde in der Hand halten, die sie als Handwerker mit solidem Wissen und praktischem Können ausweist. Endlich können sie wieder zeigen, wie intelligent sie sind! Die Freisprechungsurkunde zeigt vorbildliches Durchhaltevermögen und sollte auch von all den Mitmenschen anerkannt werden, die immer noch Vorbehalte gegen Geflüchtete hegen. Keinem „Bio-Deutschen“ wurde hier irgendeine Chance weggenommen. Im Gegenteil, unsere Gesellschaft braucht nötig solche Zuwanderer und sollte im eigenen Interesse dafür sorgen, dass sie sich willkommen fühlen! Hoffentlich haben sie bei uns Wurzeln geschlagen und bleiben am Ort! Das wäre für uns als Paten die schönste Bestätigung!
Dabei dürfen einige Dankesworte nicht vergessen werden, denn tatsächlich haben zahlreiche Menschen jahrelang zu diesem Erfolg beigetragen, die an dieser Stelle gar nicht alle aufgeführt werden können. Unser Dank geht an alle. Beginnen wir ruhig mit den Eltern und Angehörigen im Heimatland, die auf ihre Weise und mit ihren beschränkten Möglichkeiten jahrelang getröstet und aufzumuntern versucht haben. In Deutschland danken wir allen, die – beruflich oder privat - durch ihr gezeigtes Interesse, mitfühlende Worte oder gelegentliche freundliche Unterstützung, kleine oder größere Geschenke, im medizinischen Bereich, durch Begleitung bei Arzt- oder Behördenterminen, Beratung beim „Papierkram“, Fahrdiensten, durch Einladungen, Nachhilfe-Unterricht oder auch auf ganz andere Weise unsere Azubis aufgemuntert haben. Arash hatte das Glück, vor einem Jahr schließlich noch „Franz“ in Syke kennenzulernen, der mit seinem technischen Wissen, seiner Berufserfahrung, seinem Verständnis, viel Geduld und sogar seinem Wohnzimmer als Lernort für unsere sonntägliche Runde hilfebedürftiger Elektriker-Azubis maßgeblich das Prüfungsergebnis möglich gemacht hat.
Das Leben eines Geflüchteten ist ein steiniger Weg, - das hat sicher jeder von ihnen gewusst und in Kauf genommen. Wir hier mussten zum Glück viele der Schwierigkeiten gar nicht kennen lernen, können aber versuchen, einige Stolpersteine der deutschen Bürokratie beiseite zu räumen. Wenn dadurch aus einem UMA, einem unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden, ein Nachbar mit gefragten Fähigkeiten und „ganz viel Bock auf Weiterlernen“ geworden ist, dann sollte das für alle Helfer Motivation genug sein, um weiter zu machen.
Letztendlich bleibt das Ergebnis aller Bemühungen aber im Wesentlich das Verdienst des Geflüchteten selbst. Als Betreuer helfen wir gerne, aber wo wir nicht auf Integrationswillen und Offenheit treffen, wäre alles umsonst. Bei Arash und Younis dagegen können wir wohl sicher sein, dass sie schon sehr bald eine dauerhafte Arbeitsstelle haben und dann als „begeisterte Steuerzahler“ zum deutschen Sozialsystem beitragen werden.
AR
Unser Integrationsreise Tinashe und Monica
Die 5 wichtigsten Punkte
Ein Leben in einem fremden Land zu beginnen bedeutet, ein völlig neues Kapitel im Leben
aufzuschlagen. Es ist ein vollständiger Neustart, was bedeutet, dass man bei Null anfängt, um sich
selbst und gleichzeitig das Leben, das man sich wünscht, wieder aufzubauen und die Übernahme und die Anpassung
an die Standards des neuen Landes, in das umgesiedelt wurde.
1. Sie bekommen, was Sie geben
Mit diesem Verständnis wurde uns sofort klar, dass das Erlernen der Sprache das beste Werkzeug ist, um in jeder Hinsicht Türen zu öffnen; von der täglichen Kommunikation und dem Ausdrücken von uns selbst und unseren Bedürfnissen bis hin zur Sicherung des Arbeitsplatzes.
Wir haben gut verstanden, dass das Sozialsystem, zusammen mit den Sozialarbeitern, die an der Arbeit mit Flüchtlingen beteiligt sind, viele Menschen hat, die ihre Aufmerksamkeit benötigen. Also haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, dem System immer einen Schritt voraus
zu sein, was bedeutet, dass wir einige Dinge, die wir alleine tun konnten auch geregelt haben. Ein Beispiel: Als wir das Camp in
Oldenburg verließen, hatten wir beide bereits A2-Zertifikate. Wir wussten, dass wir in die
Gesellschaft kommen würden, also brauchten wir die Zertifikate, um gute Unterstützung und Ratschläge zu bekommen. Ein weiteres Beispiel ist: Als wir in Affinghausen ankamen, gab es keinen B1-
Kurs, sondern nur B2 sondern nur in Diepholz. Auch wenn es weit und anstrengend war fünf Tage die Woche mit Bussen zu fahren und jeden Tag früh aufzustehen, war dies für mich aus einer anderen Perspektive
wieder eine großartige Gelegenheit. Ich wusste, dass dies den Lernpozess der deutschen Sprache um ein gutes Jahr verkürzt. Und das hat auch gut geklappt.
2. Zu wissen, was Sie genau wollen, macht es einfacher, Hilfe zu bekommen
Wir haben nicht darauf gewartet, dass die Sozialarbeiter
sich uns vorstellten und nach Möglichkeiten für uns recherchierten, sondern wir verstanden, dass das Leben uns gehört, unabhängig davon, ob
wir in einem fremden Land sind. Wir konnten also nicht darauf warten, dass jemand kommt und uns zum Beispiel einen Arbeitsvorschlag macht, sondern wir haben alle Informationen darüber gesammelt, was wir tun möchten, und
wir haben dieses Ziel aktiv und konsequent verfolgt.
Das machte es den Sozialarbeitern leicht, uns zu helfen.
3. Betreuer und Helfer.
Diese Menschen bilden eine wichtige Brücke zwischen Eingewöhnung und
Integration. Ohne sie gäbe es fast keinen Kontakt mit der Umgebung oder Gemeinschaft.
Insbesondere in den ersten Tagen der Überstellung vom Flüchtlingslager in die Gesellschaft.
Es ist unerlässlich, harmonisch mit den Helfern zusammenzuarbeiten. Das war unser
größtes Glück, dass wir in Affinghausen ein tolles Team hatten, das sich wirklich um uns kümmerte
und uns bei fast allem half, wasunsere Integration viel schneller und einfacher machte,
4. Die Sprache lernen.
Unser Weg, Deutsch zu lernen, war schwierig, aber gleichzeitig voller Spaß.
Durch meine eigene Erfahrung habe ich herausgefunden, dass Intelligenz nicht viel mit dem Erlernen einer Sprache zu tun hat, sondern dass Offenheit der Schlüssel ist! Mit Offenheit meine ich, dass Sie viel
Zeit investieren sollten, um die Sprache selbst zu Hause über You Tube, Duolingo und viele andere Apps zu lernen und interaktive Übungen zu
machen, bei denen Sie mehr sprechen und hören als im Unterricht. Der Beitritt zu Sportvereinen und der Besuch der Kirche vergrößerten unseren
sozialen Kreis und
eröffneten uns mehr Glegenheiten zum Reden, was uns sehr geholfen hat! So wie in meinem Fall:
Während ich in Affinghausen war, meldete ich mich freiwillig, um beim Leichtathletiktraining in
Asendorf mitzuhelfen, außerdem spielte ich zweimal in der Woche Volleyball mit einigen älteren
Leuten und ging auch schon in Oldenburg zur Kirche. Diese Art Kontakt hat mir sehr geholfen!
5.Transparenz und Ehrlichkeit.
Wenn Flüchtlinge ankommen, ist die größte aller Ängste die Abschiebung. In den ersten Tagen neigen wir dazu zu glauben, dass das System mehr darauf bedacht ist, mich zurückzuschicken, als mir zu helfen. Es ist ein normales Angstgefühl, das fast jeder Flüchtling hat. Aus diesem Grund könnten viele Informationen wie Identität, Alter, Familienstand, Herkunftsland verzerrt oder falsch dargestellt werden. Dies ist einer der größten Fehler, die Flüchtlinge machen. Wenn das System Sie nicht identifizieren kann, wird es für sie schwierig, Ihnen zu helfen, und die Integration kommt zum Stillstand. Für ein Land, das Flüchtlinge aufnimmt, ist die genaue Identifizierung einer Person von größter Bedeutung. Dies bedeutet, dass das System Kriminelle und Terroristen von normalen Menschen unterscheiden kann von denen, die wirklich Zuflucht suchen.
Wenn diese Informationen noch am Tag ihrer Ankunft an die
Flüchtlinge weitergegeben würden, würde das einen großen Unterschied machen bei der Förderung der Integration. Manche kommen in großer Angst
und Panik falsch informiert an und machen sich das Leben durch bloße Ignoranz noch schwerer.
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